Des Menschen Glück
von Ekkehard Kern
Schnitt, www.schnitt.de, 2004
"Natur, das ist das große Bilderbuch, das der liebe Gott uns
draußen aufge-schlagen hat." (Joseph von Eichen-dorff) Viele
Seiten hat es, dieses Bil-derbuch. Und es ist frei begehbar. Für jeden,
der bereit ist, Neues zu erle-ben, über den Tellerrand hinweg zu sehen
und dem pompösen Gebilde Großstadt zu entfliehen.
Irgendwann wird man unwei-gerlich dorthin kommen, wo
Andrzej Klamt und Ulrich Rydzewski ihre Ge-schichte erzählen. Zu den
Karpaten. Eigentlich ist das keine Geschichte, sondern Leben. Das ist für
so manchen kaum zu glauben: Da sind Menschen, die auf Bergeshöhen
und in Holzhütten ihr Dasein fristen - und glücklich sind. Rechtzeitig
muß der Winteressensvorrat angelegt werden,
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denn in der kältesten aller Jahres-zeiten wird der Schnee auch heuer
wieder den Weg ins Tal versperren. Und damit ist das Anwesen abge-schnitten
von der Außenwelt. Ein jun-ges Mädchen wird interviewt. Sie
ist um die 20. Sie hat keine spektakulären Reisen hinter sich. Und
sie liebt ihre Heimat. Auf dem Berg, so sagt sie, ist man Gott näher
als unten in den Städ-ten.
Immer wieder hält Klamt seinen Zuschauern den
Spiegel vor. Ein biß-chen nach dem Motto: Schaut, es geht auch anders.
Und er stellt eine sehr lapidare Frage: Wieviel braucht der Mensch, um
glücklich zu sein? Ist es so, daß sich diese Orte und Menschen
eine Ursprünglichkeit bewahrt haben, die vielen einfach im Zuge der
"Mo-dernisierung" und "Globalisierung" verlorengegangen
ist und die dem menschlichen Charakter schlicht gut tut, wohltuend auf
ihn einwirkt?
Die Karpaten sind den meisten
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nicht aus dem Bilderbuch, sondern viel aus der Horror-Literatur
bekannt: Spä-testens seit Bram Stoker seinen Jo-nathan Harker in das
Reich des Gra-fen Dracula schickte, meint jeder zu wissen, was er damit
zu assoziieren hat. Ein Klischee, soviel ist sicher. Es ist wohltuend, daß
Klamt und Ryd-zewski die mythologische Ebene be-wußt umschiffen. Der
Film ist intelli-gent genug. Und ein von Vampiren wimmelndes Gebiet sind
die Länder eben nicht, die die Karpaten behei-maten: Slowakien, Polen,
Ukraine und Rumänien. Aus jedem dieser Länder wird eine Geschichte
erzählt, ein Mensch oder eine Gruppe porträtiert. Zuweilen ist
das skurril, manchmal seltsam, aber immer interessant. Und man spürt,
wie man hineingesogen wird. Gebannt von dieser Einfachheit des Lebens. Und
von der Faszination, die von dem ausgeht, was wir Be-scheidenheit nennen.
Das Unterfan-gen, eine für uns fremde Welt ein biß-
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chen greifbarer und verständlicher zu machen, kann
aber nur dann von Er-folg gekrönt sein, wenn seine Zu-schauer mitspielen.
Es ist die Reise wert.