Trauerarbeit
Der Film „Carpatia" zeigt uns die
fremden Landschaften Europas
von Fritz Göttler
„Wenn ich einen Auftrag für einen trauernden Christus kriege, dann schnitze ich
den eben . . . Die Trauer stört mich nicht, weil ich selber traurig bin.“ Sagt der Flößer Jozef, einer der vielen Helden dieses Films. Er
ist in den Pieninen daheim, einem Gebirgs-zug der Karpaten, im Süden Polens. Fünf Länder teilen sich die 1500 Kilo-meter lange Gebirgskette
im Herzen Europas, und ihre Regionen kommen uns bisweilen weit exotischer vor als die fernsten Länder. Drei Jahre lang haben die Filmemacher
Andrzej Klamt und Ulrich Rydzewski diese Länder - Slowakei, Polen, die Ukraine, Rumä-nien, Ungarn - bereist, ihre Bauern und Handwerker gefilmt,
ihre Wohn-ungen und Höfe, die Täler, Wälder,
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Flüsse. Der Film „Carpatia“ ist eine zärtliche Annäherung an Menschen, die ein Leben in Einsamkeit
und Ver-lassenheit führen, und dazu eine ruhige Reflexion über das Bildermach-en selbst, über das Verhältnis und Verhalten des Filmemachers denen
gegenüber, die er filmt.
Lang stehen die Bilder in diesem Film, so dass man sich ihrer Bildhaft-igkeit
bewusst wird, immer wieder ist der Blick skandiert durch Rahmen und Gitter, und manchmal setzt, nach einer halben Minute, eine ganz gemächliche
Parallelfahrt der Kamera ein - nicht um das Blickfeld zu erweitern, sondern um das Bild in Bewegung zu bringen. Teuer ist die Unabhängigkeit
dieser Menschen erkauft. Die soziale Situati-on ist miserabel, es gibt wenig Arbeit und man ist von der Natur abhängig, eine Sintifamilie leidet
an den Vorur-teilen der Gesellschaft - in den Blicken dieser Mädchen spürt man unerhörte Traurigkeit, ihre schüchterne Schön-
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heit wird nie voll
erblühen. Gustav in einem Dorf der Slowakei krabbelt auf verkümmerten Füßchen durch seine Hütte - er leidet an Kinderlähmung seit dem zweiten
Lebensjahr. Ich glaube nicht, dass das Glück hier auf Erden zu finden ist,
meint Marietta aus Sie-benbürgen. Eine Viertelstunde ver-bringen wir mit Familie Lankson und ihrem Unternehmen Slovakia Illuzion - der Zirkus
ist ein farbiger Lichtblick in der Leere der Provinz.
„Bloß weil ich in diesen Christus schnitze,
werde ich natürlich nicht in den Himmel kommen“, räsoniert Jozef. Es ist ein ziemlich abgeklärter Chris-tus, den er da fabriziert, die Hand
an den Kopf gestützt und ein resigniertes „Ich glaube, euch ist nicht mehr zu helfen ...“ im Blick. Und es ist wun-derbar, Jozef bei
seiner Arbeit zuzu-schauen, diese gelassenen Bewegun-gen, mit der er der Figur das Gesicht konturiert, diese Geborgenheit, die er dabei
vermittelt.
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